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  • AutorenbildUnidos por la Paz Alemania

Gewaltsames Verschwindenlassen in Kolumbien


Die Vereinten Nationen verstehen gewaltsames Verschwindenlassen als „Festnahme, Freiheitsentzug, Entführung oder Freiheitsberaubung durch Staatsbedienstete oder durch Personen oder Gruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird“.


In Kolumbien wurden zwischen 1958 und 2018 um die 86.000 Personen Opfer gewaltsamen Verschwindenlassens. Paramilitärische Gruppen sind verantwortlich für 46% der registrierten Fälle, die verschiedenen Guerillas für 19,9% und der Staat für 8%.


Aus dem 2016 unterzeichneten Friedensabkommen zwischen der FARC-Guerrilla und der kolumbianischen Regierung entstand die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (ab jetzt SfF). Diese Institution untersucht Verbrechen, die während des bewaffneten Konflikts mit den FARC begangen wurden. Sie zielt darauf ab, ehemalige Guerillas, Militärs, staatliche Agenten und beteiligte Zivilist*innen vor Gericht zu stellen.


Die SfF beschäftigt sich mit dem Thema gewaltsames Verschwindenlassen im „Fall 03“. Zwischen 2002 und 2008 ermordeten die kolumbianischen Streitkräfte mindestens 6.402 Zivilisten (de facto alle Männer) und stellten sie als „im Kampf gefallene Guerilleros" auf. Die kolumbianische Presse benannte dieses Staatsverbrechen mit dem Euphemismus „Falsos Positivos“ (dt. Falsch Positive).


Während der Regierung des damaligen Präsidenten Álvaro Uribe wurde ein Anreizprogramm für Armeeangehörige entwickelt, das ihren Vorgesetzten gute Ergebnisse im Kampf gegen Guerillas und kriminelle Banden präsentierte.


Durch dieses perfide Belohnungssystem erhielten die Soldaten, die die meisten Guerilleros töteten, Beförderungen, Urlaube oder Geld. Dies ging mit dem hohen und ständigen Druck auf die Armee-Einheiten einher, militärische Erfolge im Rahmen der sogenannten Politik der Demokratischen Sicherheit der Regierung Álvaro Uribe zu melden. Verteidigungsminister war damals Juan Manuel Santos, von 2010 bis 2018 Präsident von Kolumbien und Förderer des Friedensprozesses mit der FARC-Guerilla. Santos wurde 2016 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.


Die Streitkräfte suchten junge Männer in ländlichen Gebieten sowie in marginalisierten Stadtgebieten auf, entführten sie mit dem Versprechen auf Arbeit, ermordeten sie und kleideten sie nachträglich in Guerilla-Uniformen. Die Opfer waren meist einkommensschwache Jugendliche, Straßenbewohner und sogar Behinderte.


2008 verschwanden 19 junge Männer aus Soacha und Ciudad Bolívar, südlich der Hauptstadt Bogotá, und wurden kurz darauf in der mehrere 100 Kilometer entfernten Provinz Norte de Santander von der Armee als im Kampf getötete Guerilleros präsentiert. Die Familienangehörigen dieser Männer gründeten daraufhin die Organisation MAFAPO (Madres de los Falsos Positivos de Soacha) und kämpfen seitdem gegen die Straflosigkeit und für ein Historisches Gedächtnis dieser Verbrechen. Die Bewegung für die Opfer von Staatsverbrechen MOVICE treibt die Kampagne „¿Quién dio la orden?“ (dt. Wer gab den Befehl?) voran. Sie fordert die Verantwortungsübernahme des kolumbianischen Militärs für diese Verbrechen.


Diese außergerichtlichen Hinrichtungen, die eine eklatante Verletzung des humanitären Völkerrechts darstellen, kamen im September 2008 an die Öffentlichkeit. Im Jahr 2021 kam ein Bericht der SfF zu dem Schluss, dass die Zahl der im Rahmen der „Falsos Positivos" ermordeten Menschen viel höher ist als bisher angenommen und dass mindestens 6.402 unschuldige junge Menschen getötet wurden.


Derzeit leitet die SfF eine neue Phase der Untersuchung ein, um die Verantwortlichkeit der hochrangigen militärischen Befehlshaber zu ermitteln. Bis dato haben sich 3.582 Angehörige der Streitkräfte diesem Gericht unterstellt. Von ihnen haben 703 ihre Version eingereicht. Gleichzeitig haben sich vier hochrangige Mitglieder der Streitkräfte verweigert, bei diesem Gericht zu erscheinen. Aus diesem Grund sind sie zu einem anderen Gericht zugewiesen worden, wo sie bis zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt werden können, falls sie das Verfahren verlieren.


Der Fall 03 wird nun mit einer Top-down-Untersuchungsstrategie vorangetrieben. Mit anderen Worten: Zunächst werden die wichtigsten Akteure und die Hauptverantwortlichen auf regionaler und lokaler Ebene ermittelt. Anschließend wird auf der Grundlage der in diesen ersten Schritten durchgeführten faktischen und rechtlichen Ergebnisse ermittelt, wer die Hauptverantwortlichen innerhalb der Armee sind.

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